Körperfett

Übergewicht: Wie viel rund ist gesund?

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Fragen zum Thema Übergewicht und Weight-Loss-Therapien beantwortet uns Adipositas-Expertin Dr. Bianca-Karla Itariu. Gemeinsam mit TV-Doc Siegfried Meryn veröffentlichte sie das Buch „Schlank auf Rezept“ und verspricht: Jeder schafft es! 

Das Bild der sportlichen Frau und vom Wohlfühlkörper hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Labels wie Nike und sogar Dessous-Ikone Victoria’s Secret wandten sich vom Supermodel-Maß geradezu ab und inszenieren mit Verve die gesamte Bandbreite an Frauenkörpern. Mit der neuen Realitätsnähe werfen sich Plus-Size-Models eindrucksvoll in Yoga- und selbstbewusst in Model-Posen. Die Message: Jeder kann fit! Jeder Körper ist schön! Das Ziel (abgesehen vom Profit): Akzeptanz. Ein guter Trend! Auch ein gesunder?

Medizin und WHO läuten seit einigen Jahren permanent die Alarmglocken. Die Welt wird immer dicker. Adipositas, das starke Übergewicht, zählt zu den gefährlichsten chronischen Erkrankungen unserer Zeit. Je dicker die Welt wird, desto besser werden jedoch auch die Therapiemöglichkeiten. Neue Medikamente – Sättigungshormone die Namen wie Sema-glutid (Wegovy) und Liraglutid (Saxenda) tragen – gelten als Gamechanger. Die Fragen also: Akzeptanz eines neuen Körperbildes? Oder doch gegensteuern? Wer ist zu dick? Ist Fett immer gefährlich? Und kann jeder abnehmen? Diese und weitere Fragen stellten wir der renommierten Adipositas-Spezialistin Dr. Bianca-Karla Itariu.

Übergewicht: Wie viel rund ist gesund?
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× Übergewicht: Wie viel rund ist gesund?

„Ja!“ Jede/r kann abnehmen

Itariu, jahrelange Leiterin der Adipositas-Ambulanz am AKH, veröffentlichte dieser Tage gemeinsam mit TV-Internist Dr. Siegfried Meryn einen umfangreichen Ratgeber zum Thema. In „Schlank auf Rezept“ erklären die Abnehm-Spezialist:innen anhand persönlicher Geschichten, warum manche dick und sogar adipös werden, warum keiner an seinem Gewicht alleine die Schuld trägt und wie man mit einem Kleeblatt an fundierten Methoden und neuesten medizinischen Therapien nicht nur effizient abspeckt, sondern sein Gewicht auch hält. Nachstehend geben sie einen kompakten Einblick in ihren Abnehm-Masterplan – ein Mix aus Ernährung, Bewegung, Verhaltensänderung und neuen Therapien. Dr. Itarius starke Ansage: „Jede/r kann damit abnehmen.“

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8 Fragen an die Expertin für Adipositas 

Ab wann gilt ein Mensch als zu dick? Ab wann als chronisch krank adipös?
Dr. Bianca-Karla Itariu:
Medizinisch ist die ganze Sache sehr einfach. Ein Body-Mass-Index, BMI, größer oder gleich 25 bedeutet Übergewicht, größer oder gleich 30 ist Adipositas. In der Praxis muss das allerdings hinterfragt werden. Der BMI ist ein sexistischer und rassistischer Index – eine Übersimplifizierung, die keine Rücksicht auf Herkunft (Anm.: entscheidet über das metabolische Risiko) und Geschlecht nimmt. Er sagt weder etwas über Fettmasse noch Gesundheitszustand aus. Genauer ist eine Messung des Bauchumfangs. Fett, das sich um den Bauch verteilt, deutet auf ein erhöhtes Gesundheitsrisiko hin. Am aussagekräftigsten sind Körperfettmessungen auf Spezialwagen, wie sie bei Spezialist:innen zu finden sind. Chronisch krank ist man, sobald das Übergewicht einen körperlich und psychisch stört und sobald man Symptome zeigt wie z. B. Kurzatmigkeit beim Stiegensteigen oder Depression.

Gibt es „gesunde Dicke“?
Dr. Itariu:
Ja. Diese Menschen werden als „metabolically healthy obese“ bezeichnet. Ihre Blut- und Zuckerwerte sind gut, sie haben keine Anzeichen einer Erkrankung und fühlen sich psychisch wohl. Wenn ich mich in meiner Haut wohl fühle und es aus ärztlicher Sicht keine Bedenken gibt, ist es auch ok zu sagen: ,Wir machen jetzt nichts.‘ Wichtig ist aber mitzuteilen: ,Ich bin da für Sie, wenn Sie sich nicht mehr wohl fühlen und/ oder sich Ihre Laborwerte verschlechtern.‘ Wir haben ja Optionen. Eine regelmäßige Kontrolle und Vorsorge sind in solchen Fällen wichtig.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass niemand Schuld an seinem Übergewicht trägt. Zu 70 Prozent sind es die Gene. Warum pfuschen, die uns so rein?
Dr. Itariu:
Unsere Gene haben sich in den letzten Jahrtausenden nicht verändert, aber die Umwelt hat es. Der Mensch hat eine Anfälligkeit für Zucker- und Fettsucht programmiert. Das hat am Beginn der Evolution geholfen. Jetzt schadet es. Da stecken abertausende Hormone dahinter. Das ist eben nicht nur Verhalten, das ich selbst beeinflussen kann. Dies ist eine wichtige Erkenntnis, die zur Entwicklung neuer Therapien beigetragen hat. Auch die Art wie ich Nahrungsmittel verstoffwechsle ist individuell festgelegt. Die restlichen 30 Prozent werden durch unser adipogenes Umfeld bestimmt – Ernährungsangebot, Erziehung und die Sozialisierung mit dem Teilen, Geben und gemeinsamen Genießen. Mit Eintritt in die Volksschule wird uns z. B. systematisch der Bewegungsdrang abtrainiert. Oftmals nehmen die Menschen dann kontinuierlich leicht zu, wenn sie ins Berufsleben – in einen Bürojob – einsteigen.

Nicht jeder muss abnehmen. Aber Menschen, die das gefährliche Bauchfett vor sich hertragen und Krankheits­symptome haben, tun sich mit einer Gewichtsreduktion Gutes. Es gibt abertausende Diäten, Abnehmprogramme und Tipps. Sie waren viele Jahr lang die Leiterin der Adipositasambulanz des AKHs. Wer oder was kann wirklich helfen?
Dr. Itariu:
Dr. Siegfried Meryn, mit dem gemeinsam unser Buch „Schlank auf Rezept“ entstand, hat die Kleeblatt-Methode erfunden. Die drei Blätter eines Kleeblattes symbolisieren dabei die Grundsäulen einer Abnehmtherapie: Ernährung, Bewegung und Verhaltensänderung – die Selbstreflexion. Das vierte Kleeblatt ist der Glücksbringer. Das Bonusblatt: Die Medizin mit ihren neuen Abnehmmedikamente, den Sättigungshormonen, sowie auch den bariatrischen, also gewichtsreduzierenden, Operationen, die das Magenvolumen verkleinern.

Kann jede/r mit dieser Methode abnehmen? Ein Ja oder Nein genügt.
Dr. Itariu:
Ja.

Sie haben die neuen Abnehmmedikamente, wie Semaglutid, angesprochen, die auf das Sättigungsgefühl einwirken und so zu einer Gewichtsabnahme führen. Die Hersteller sprechen von etwa 15 Prozent Gewichtsverlust durch diese Medikamente. Geht auch mehr?
Dr. Itariu:
Alles ist möglich. Es gibt die vier Prozent der Patient:innen bei denen diese Medikamente keine Wirkung zeigen – die Non-Responder. Da muss man zu anderen Methoden greifen. Dann gibt es Menschen, die sagen: ,Das ist ein ganz neues Leben.‘ Sie nehmen viel ab ohne Hunger zu verspüren. Eine Patientin verlor 20 Prozent ihres Gewichts. Nach einiger Zeit stellt sich dann ein Plateaueffekt ein. Das ist ein wichtiger Mechanismus des Körpers um die Gewichtsreduktion an einem gewissen Punkt in Schach zu halten. Man will schließlich nicht verschwinden. Ein wenig Fett braucht man.

Was ist mit dem Jo-Jo-Effekt?
Dr. Itariu:
Wir gehen davon aus, dass so eine medikamentöse Therapie – um das Gewicht zu halten – als lebenslange ,Open-End-Therapie‘ am sinnvollsten ist – bzw. als On-and-Off-Therapie. On-and-Off bedeutet, dass das Medikament nach erfolgreicher Therapie abgesetzt wird und sobald das Gewicht steigt wieder genommen wird. Einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung trägt zudem der Lebensstil bei.

Minus 15 Prozent Fett. Wie verändert sich das Leben der Menschen dadurch?
Dr. Itariu:
Ich zitiere eine Patientin: ,Die Lebensgeister sind erwacht.‘ 

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