Adipositas-Symptome

Wie Übergewicht und Depressionen zusammenhängen

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Am 10. Oktober ist World Mental Health Day. Eine Auswertung über 17 Jahre österreichischer Krankenhausaufenthalte zeigt: Adipositas ist ein erheblicher Risikofaktor für psychische Erkrankungen.

Anlässlich des World Mental Health Days rücken Mediziner:innen und Betroffene den Versorgungsstatus von Adipositas-Patient:innen in den Fokus. Anhand aktueller wissenschaftlicher Untersuchungen und Praxisberichte zeigen sie auf, wie eng die chronische Stoffwechselerkrankung Adipositas mit psychischer Gesundheit verknüpft ist: Zwei von fünf Adipositas-Betroffenen leiden auch an einer psychischen Erkrankung.

„Wir behandeln immer mehr Patient:innen mit Adipositas, die bereits schwere psychische Belastungen aufweisen“, berichtet Yvonne Winhofer-Stöckl, Internistin und Oberärztin an der Adipositas-Ambulanz im AKH Wien und assoziierte Professorin an der MedUni Wien.

Was ist Adipositas?

Adipositas ist eine ernstzunehmende, chronische Stoffwechselerkrankung, die potentiell schwerwiegende Begleiterkrankungen und Folgen haben kann. Von Adipositas spricht man ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30. Der medizinische Bedarf bezüglich Adipositas ist weltweit hoch und auch in Österreich steigen die Zahlen Betroffener: Bereits heute leiden beinahe 17%(3) der Bevölkerung in Österreich an Adipositas – Tendenz steigend. Weltweit sind 813 Millionen Erwachsene und 175 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen. Bis 2035 wird diese Zahl voraussichtlich auf 1,5 Milliarden ansteigen.   

Adipositas ist die zuerst gestellte Diagnose

Eine aktuelle Wiener Studie hat die Versicherungsdaten von 9 Millionen Österreicher:innen zwischen 1997 und 2014 ausgewertet. Die Analyse von knapp 45 Millionen Krankenhaus-aufenthalten zeigt: „Adipositas ist die zuerst gestellt Diagnose, der innerhalb weniger Jahre psychische Erkrankungen folgen“, so Alexander Kautzky, Oberarzt an der psychiatrischen Ambulanz am AKH Wien, assoziierter Professor der MedUni Wien und Autor der heuer publizierten Studie zu Adipositas und Psyche.

Betroffene werden in allen Alltagsbereichen stigmatisiert

Barbara Andersen, Klinische und Gesundheitspsychologin, Adipositas-Betroffene und Mitbegründerin der Österreichischen Adipositas-Allianz, kennt die Erkrankung aus mehreren Perspektiven. Vorurteile und Stigmatisierung begegnen Adipositas-Patient:innen in allen Bereichen ihres Alltags. Andersen präzisiert mit Beispielen: „Wenn man von Adipositas betroffen ist, ist es schwerer, Ausbildungs- oder Arbeitsplätze zu bekommen oder auf der Karriereleiter hochzukommen. Attribute wie ‚undiszipliniert‘ oder ‚verantwortungslos‘ werden einem schon bei der Bewerbung zugeschrieben.“ Sie berichtet, dass Adipositas-Betroffene sich bei Arztbesuchen häufig nicht ernstgenommen fühlen, da Symptome häufig rein auf das Gewicht zurückgeführt werden. Sie berichtet weiter von einer Kindheitserinnerung: „Ein Satz ist in meiner Familie häufig gefallen - ‚Es ist schon genug, denk an dein Bäuchlein‘. Ich habe in Folge meine erste Diät im Alter von zwölf Jahren gemacht“.

Wie Übergewicht und Depressionen zusammenhängen
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Wechselwirkung von Körper und Psyche

Adipositas und psychische Erkrankungen weisen Korrelationen auf, erklärt Kautzky, die durch präzise Blutuntersuchungen nachweisbar sind. „Wenn unsere Zellen mit übermäßiger Energiezufuhr konfrontiert werden, entsteht Zellstress und Entzündungsreaktionen treten ein. Das könnte ein Risikofaktor etwa für Depressionen sein. Denn auch hier sind Entzündungen im Körper messbar“, erläutert Kautzky. Eine weitere Wechselwirkung betrifft die Ernährung. „Die Appetitregulation im Hirn ist eng mit dem limbischen System verbunden, in dem Botenstoffe wie das sogenannte ‚Glückshormon‘ Dopamin ausgeschüttet wird. Es zeigt sich, dass Menschen mit Adipositas für die gleiche Menge ausgeschüttetem Dopamin mehr Nahrung benötigen als Normalgewichtige. Wir wissen auch, dass ein Mangel an Dopamin zu den Ursachen einer Depression zählt“, erklärt Winhofer-Stöckl.

Kautzky führt weiter aus, dass Ernährung einen starken Einfluss auf die Psyche hat – direkt und über das Mikrobiom im Darm. So werden bestimmte Darmbakterien beispielsweise mit erhöhtem Stress und Depressionen assoziiert. „Schlechte Ernährung kann die psychische Gesundheit beeinträchtigen. Wer von einer psychischen Erkrankung betroffen ist, neigt jedoch zur Vernachlässigung gesunder Ernährungsgewohnheiten. Eine Spirale entsteht, in der sich Erkrankungen wie die Adipositas wiederfinden“, erklärt Kautzky.

Mehr Sport als simple Lösung?

Adipositas ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, die zu zahlreichen Folge- und Begleiterkrankungen führen kann. „Gerade wenn sich bereits Folgeerkrankungen mechanischer Natur manifestiert haben, führt das für Betroffene zu einer starken psychischen Belastung im Alltag“, führt Winhofer-Stöckl an. Andersen bestätigt dies und berichtet von zunehmendem sozialen Rückzug und Isolation: „Es ist mit sehr viel Scham verbunden, wenn man bemerkt, dass man etwa beim Wanderausflug mit Freunden einfach nicht mithalten kann, schwer Luft bekommt und schwitzt“. Kautzky weist hier auf eine weitere Abwärtsspirale hin: „Die sportliche Betätigung ist zunehmend schwierig, Bewegung wird aber präventiv gegen Depressionen empfohlen. Gleichzeitig ist Fakt, dass sich Menschen mit Depressionen weniger bewegen – was wiederum das Risiko für metabolische Erkrankungen erhöht“.

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Screening psychischer Gesundheit soll in Adipositas-Guidelines

„Aktuell gibt es zu wenige Anlaufstellen zur psychologischen Behandlung von Adipositas-Betroffenen. Das wird mit der steigenden Patient:innenzahl zunehmend zum Problem“, warnt Winhofer-Stöckl. Andersen, die sich vor 17 Jahren einer Magenbypass-Operation unterzogen hat, kritisiert die fehlende psychologische Nachsorge nach der Adipositas-Chirurgie: „Vor der OP wird ein psychologisches Gutachten verlangt, danach jedoch sind wir Betroffenen ganz auf uns allein gestellt“.

In Anbetracht der Ergebnisse seiner Studie fordert Kautzky: „Die wichtigste Botschaft der Studie ist, dass bei Adipositas frühzeitig ein Screening auf psychische Erkrankungen passieren muss“. Er identifiziert eine Versorgungslücke, die es zu schließen gilt: „Umgekehrt ist das bereits verankert: Bei psychiatrischen Erkrankungen empfehlen die Guidelines, auf metabolische Probleme zu achten.“

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