Sechs Wirkungsziele

Österreichische Diabetes-Strategie

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"Die Stimme der Menschen mit Diabetes muss gehört werden"

Sechs Wirkungsziele beinhaltet die Österreichische Diabetes-Strategie, die im Laufe des vergangenen Jahres im Auftrag des Gesundheitsministeriums erstellt wurde. Mitglieder der Steuerungsgruppe haben am Mittwoch im Rahmen eines Pressegesprächs der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) in Wien die Ziele und Forderungen konkretisiert.

Immer häufiger sind auch jüngere Menschen betroffen

Rund 600.000 Personen leiden in Österreich derzeit an Diabetes, immer häufiger sind auch jüngere Menschen betroffen. Europaweit gibt es etwa 32 Millionen Patienten. In den nächsten fünf bis zehn Jahren soll die Diabetes-Strategie umgesetzt werden, die in sechs Wirkungszielen die Weiterentwicklung Österreichs in Bezug auf die Krankheit definieren will. Im Mittelpunkt stehen u.a. die Verhinderung von Diskriminierung und die lange Erhaltung einer möglichst guten Lebensqualität der Diabetiker.

Kampf gegen Vorurteile

"Viel Zeit haben wir nicht", warnte ÖDG-Präsident Hermann Toplak, "sonst werden uns diese Zahlen erschlagen". Gemäß der vor kurzem präsentierten Strategie soll die diabetesbezogene Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung gesteigert werden. Durch zielgruppengerechte Ansprache - Kinder hätten hier etwa andere Bedürfnisse als Senioren - könne die Information effektiver an die Patienten herangetragen werden. Die Aufklärung soll weiters zu einer Entstigmatisierung beitragen. In Österreich seien Diabetes-Patienten immer noch zahlreichen Vorurteilen ausgesetzt, sowohl in der Schule und am Arbeitsplatz als auch im privaten Umfeld.

Unterbewegt und überernährt

"Wir sind unterbewegt und überernährt", fasste Thomas Wascher vom Hanuschkrankenhaus in Wien die Problematik der steigenden Patientenzahlen aus seiner Sicht zusammen. Er sieht im Umgang mit der "Lebensstil-Erkrankung" Diabetes eindeutig gesellschaftspolitische Aufgaben, die nicht zuletzt von Politik und Wirtschaft wahrgenommen werden müssten. So trage zu einer Förderung von diabetesreduzierenden Umweltfaktoren beispielsweise auch eine durchdachte Stadtplanung bei, indem sie die Menschen zu mehr Bewegung animiere.

Eigenständiger und kompetenter Umgang mit Diabetes

Als "eine chronische Erkrankung, die der Betroffene gut selbst beeinflussen kann" definierte ÖDG-Vorstandsmitglied Claudia Francesconi Diabetes. "Wenn man keine Akzeptanz gegenüber einer chronischen Krankheit entwickelt, blockiert man sich selbst." Für das Erreichen des Wirkungsziels, Patienten zum eigenständigen und kompetenten Umgang mit Diabetes zu befähigen, erachtete Francesconi ein flächendeckendes Angebot an Schulungsmöglichkeiten für Betroffene und Angehörige als wichtig. Patienten müssten in Therapieentscheidungen miteinbezogen werden.

Zur Konzeptionierung und Implementierung einer integrierten Versorgung merkte Francesconi an, dass es zwar in vielen Bereichen "kleine Projekte" gebe, die "sehr gut funktionieren" würden, doch von flächendeckend sei noch keine Rede. Gerade auf dem Land sei die Versorgung oft mangelhaft und generell stark von Engagement und Ausbildung einzelner Ärzten abhängig. Das Ziel sei für sie daher: "Egal, aus welcher Schicht jemand kommt oder wo er wohnt, jeder Diabetiker soll Zugang zu Schulungen und Versorgung haben."

Lebenslanges Lernen

Diabetesspezifisches Wissen sei nicht nur für Ärzte, sondern auch in vielen anderen beruflichen Feldern bedeutend. Lebenslanges Lernen stehe auch für Gesundheitsberufe wie Pflege oder Ernährungsberatung auf dem Programm. Francesconi schlug zudem das Berufsbild des "Bewegungsberaters" vor und wünschte sich interprofessionelle Betreuungsteams, denn: "Diabetesbetreuung ist Teamarbeit". Informationen und Fachwissen müssten sowohl für Patienten als auch für Mediziner leichter zugänglich sein.

"Lücken schließen" bezüglich der noch recht dünnen Datenlage in Österreich forderte Harald Sourij von der Medizinischen Universität Graz. Zumindest ein "Minimaldatensatz" zu jedem Patienten solle existieren, denn auf diesen Zahlen basiere die Versorgung der Patienten und auch die Forschung. "Die Stimme der Menschen mit Diabetes muss gehört werden", sagte Toplak dazu - es müsse näher am Patienten geschaut werden, welche Maßnahmen positive Auswirkungen habe. Dringenden Aufholbedarf im Vergleich zu anderen Ländern sah Sourij in der klinischen und angewandten Forschung bzw. auch in der Vernetzung von Institutionen zum Wissenstransfer.

Der Punkt der Finanzierung der Umsetzung der Diabetes-Strategie sei jedoch bis jetzt nicht konkret angegangen worden. Das werde "einer der nächsten Schritte" sein, hieß es aus der Steuerungsgruppe. "Man wird auf Bundesebene an das Projekt herangehen müssen", befand Francesconi. Bisher würden außerdem vor allem Einzelteile kalkuliert werden, nie die Gesamtkosten bzw. Ersparnisse durch Investitionen in Prävention. Dabei müsste man jedoch "über die Kosten eines Blutzuckerstreiferls hinausblicken", wie Sourij forderte.

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