Studie lässt Alarmglocken schrillen

Sperma-Dilemma: Fruchtbarkeit der Männer in Gefahr

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Die Spermienanzahl der Männer hat sich innerhalb von viereinhalb Jahrzehnten mehr als halbiert. AKH-Urologie-Chef Prof. Dr. Shahrokh Shariat klärt über die Ursachen und mögliche Gegenmaßnahmen auf.  

Eine Frau, ein Mann, eine fixe Partnerschaft – das weckt im Umfeld klischeeschwangere Erwartungen. Und wenn sich der viel strapazierte Kindersegen nicht einstellt, stand beziehungsweise steht der komplexe Frauenkörper unter Generalverdacht. Ein Vorurteil, über das Reproduktionsmediziner:innen seit einigen Jahren aufklären. Bei ungewollter Kinderlosigkeit – sie betrifft acht bis 15 Prozent der Paare im fortpflanzungsfähigen Alter – liegt es nämlich zu einem Drittel an ihm, zu zu einem Drittel an ihr und zu einem Drittel an beiden. Dieses Verhältnis könnte sich allerdings verschieben. Denn laut aktuellen Studien schwimmen immer weniger Spermien im Teich und sie könnten laut Prognosen zu einer gefährdeten Art werden. „Eine Metaanalyse mit Daten von 57.000 Männern aus 53 Ländern aus 2022“, so Univ.-Prof. Dr. Shahrokh Shariat, Vorstand der UniKlinik für Urologie des AKH und der MedUni Wien, „bestätigt, dass die Spermienzahl bei westlichen Männern – d. h. Männern in Australien, Europa, Neuseeland und Nordamerika – zwischen 1973 und 2018 um 51 Prozent zurückgegangen ist. Die Spermienzahl sinkt mit einer Rate von etwa 1,1 Prozent pro Jahr. Das bedeutet, dass sich pro Millimeter Sperma die Zahl von 101,2 Millionen auf 49 Millionen reduziert hat.“ Die stetige Abnahme der Spermienzahl werde sich laut Daten noch beschleunigen – und zwar weltweit.

Neue Wiege der Menschheit? 

Ob das bedeutet, dass in Zukunft Kinder so gut wie ausschließlich im Reagenzglas, also in-vitro in der Kinderwunschklinik, gezeugt werden können? Das sei derzeit noch nicht zu beantworten. Denn die Spermienzahl ist nicht der einzige Parameter der männlichen Fruchtbarkeit. „Eine entscheidende Rolle für die Fortpflanzung“, so Prof. Shariat, „spielt auch die Geschwindigkeit der Spermienbewegung – und diese wurde in der Analyse nicht berücksichtigt. Die niedrigere Spermienkonzentration von 49 Millionen liegt zudem immer noch weit über dem Bereich, der von der Weltgesundheitsorganisation als ,normal‘ angesehen wird. ,Normal“ sind zwischen 15 und 200 Millionen Spermien pro Milliliter Ejakulat.“ Zudem, betont Shariat, sei in den vergangenen Jahren die Möglichkeit, Spermien zu zählen, wesentlich verbessert worden. Die sensibleren Messmethoden könnten auch einen Anteil daran haben, dass die Zahlen sinken. „Aber trotz dieser Kritik an der Studie sind die Ergebnisse schwer zu ignorieren. Es besteht dringender Handlungs- und Forschungsbedarf, um eine weitere Beeinträchtigung der Reproduktionsgesundheit zu verhindern.“

Ursachen & Gegenstrategien 

Wirklich eindeutig sind die Forschungsergebnisse auch hier nicht. Als mögliche Ursachen für den weltweiten Spermienschwund werden chemische Belastungen, mütterliches Rauchen während der pränatalen Entwicklung, Pestizid- und Kunststoffbelastungen oder Änderungen des Lebensstils im Erwachsenenalter, z. B. Drogen- oder Alkoholkonsum, genannt. Auf den kommenden Seiten gibt Prof. Shariat Praxistipps, um die Fruchtbarkeit langfristig zu erhalten und kurzfristig zu boostern. Zudem verrät er, was Fruchtbarkeitstest bringen.    

 

Ursachen für männliche Fruchtbarkeits-Probleme: 

Was gutes Sperma ausmacht: Spermienanzahl, -morphologie (Anm.: Größe und Form der Spermien) sowie -beweglichkeit geben Aufschluss über die Spermaqualität. Diese Parameter werden bei einem Spermiogramm (s. auch Info ganz rechts) untersucht. Unterschiedlichste externe und körpereigene Faktoren können diese Parameter beeinflussen. Sie können die Fruchtbarkeit hemmen oder auch zu Unfruchtbarkeit führen.

Umweltfaktoren: Exposition gegenüber Umweltgiften wie Pestiziden, Schwermetallen und Chemikalien kann die Spermienzahl und -qualität beeinträchtigen.

Der Lebensstil: Rauchen, Alkoholkonsum, schlechte Ernährung, körperliche Inaktivität und Übergewicht können zu einer schlechten Spermienqualität und -menge führen.

Hormone: Hormonelle Störungen – wie ein niedriger Testosteronspiegel, ein erhöhter Prolaktinspiegel oder Schilddrüsenprobleme – können die Spermienproduktion beeinträchtigen und die Fruchtbarkeit reduzieren.

Alter: Mit zunehmendem Alter nimmt die Spermienqualität ab. Weniger häufige Ursachen: Medikamente (Chemotherapie, anabole Steroide und einige Blutdruckmedikamente können die Fruchtbarkeit beeinträchtigen), Drogen, genetische Faktoren, Varikozele (Schwellung der Venen, die das Blut aus den Hoden abführt), Infektionen im Fortpflanzungssystem wie Geschlechtskrankheiten oder eine Entzündung der Hoden oder Nebenhoden können die Spermienproduktion beeinträchtigen.

Gut zu wissen: „Noch sind noch nicht alle Ursachen für männliche Unfruchtbarkeit bekannt. In einigen Fällen kann keine spezifische Ursache gefunden werden“, so Prof. Shariat.    



Wie Mann seine Spermien schützt 

Maßnahmenmix. „Es gibt“, so Prof. Shariat, „verschiedene Maßnahmen, die zur Erhaltung der Fruchtbarkeit beitragen können, und viele davon hängen vom individuellen Lebensstil und den Umständen ab.“ Hier sind einige allgemeine Empfehlungen:

Gute Ernährung: Ausreichende Menge an Obst, Gemüse, Vollkornprodukten, magerem Protein und gesunden Fetten essen. Konsum von verarbeiteten Lebensmitteln, Zucker und gesättigten Fetten reduzieren.

Regelmäßige Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität kann dazu beitragen, die Fruchtbarkeit zu erhalten, indem das ­Körpergewicht reguliert und Stress abgebaut wird.

Rauchstopp: Rauchen kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigen, daher wird empfohlen, das Rauchen zu beenden oder gar nicht erst damit anzufangen.

Suchtmittelstopp: Alkohol- und Drogenmissbrauch können die Fruchtbarkeit beeinträchtigen, daher wird empfohlen, den Konsum zu reduzieren oder zu vermeiden.

Umweltgifte meiden: Chemikalien wie Pestizide, Blei und Quecksilber können die Fruchtbarkeit beeinträchtigen, daher ist es ratsam, den Kontakt mit diesen Substanzen zu minimieren.

Safer Sex: Sexuell übertragbare Krankheiten wie Chlamydien und Gonorrhö können zur Unfruchtbarkeit führen, daher sollten sexuell aktive Menschen regelmäßig getestet und geschützt werden.

Wann mit der Vorsorge beginnen? „Es gibt“, so Urologe Shariat, „keine spezifische Altersgrenze, um mit der Umsetzung dieser Maßnahmen zu beginnen. Einige davon können jedoch während der Pubertät, wenn sich die Fortpflanzungsorgane entwickeln, besonders wichtig sein. Es ist jedoch nie zu spät, um eine gesunde Lebensweise zu führen und Maßnahmen zur Erhaltung der Fruchtbarkeit zu ergreifen.“  

 

 

Die Spermienqualität kurzfristig erhöhen 

Unbedingt empfohlen bei Kinderwunsch: Die Empfehlungen vom Urologen:

Ärztlicher Check-up: Bei Kinderwunsch ist es ratsam, dass Männer einen Urologen aufsuchen und sich einer umfassenden Untersuchung unterziehen. Diese kann festzustellen, ob es zugrunde liegende medizinische Probleme gibt, die die Fruchtbarkeit beeinträchtigen könnten – so wie Varikozelen (Schwellung der Venen, die das Blut aus den Hoden abführen).

  • Gute Ernährung!

 

  • Regelmäßige Bewegung!

 

  • Vermeidung von Hitze: Übermäßige Hitze kann die Spermienqualität beeinträchtigen. Daher ist es ratsam, enge Kleidung und heiße Bäder zu vermeiden. Zu bevorzugen ist das Tragen von lockerer Kleidung und das Sitzen auf einem kühlen Kissen.

 

  • Vermeidung von Alkohol, Drogen und Tabak

 

  • Stressmanagement: z. B. durch Bewegung

 

  • Vermeidung von Umweltgiften: Pestizide, Blei und Quecksilber meiden.


Gut zu wissen: „Die Auswirkungen dieser Maßnahmen sind nicht unmittelbar sichtbar. Es kann einige Zeit dauern, bis eine Verbesserung der Fruchtbarkeit festgestellt werden kann“, so Prof. Shariat.   



Neugierig? Was bringt ein Fruchtbarkeitstest? 

Ob Männer, die derzeit keinen Kinderwunsch hegen, ein Spermiogramm machen sollten: „Ich bin“, so Prof. Shariat, „wahrscheinlich noch eine Ausnahme, aber ich glaube: Ja. Fruchtbarkeitschecks können auch für Menschen sinnvoll sein, die derzeit keinen Kinderwunsch haben.“ Es gibt mehrere Gründe, warum jemand möglicherweise einen Fruchtbarkeitstest durchführen möchte, einschließlich:

1. Fruchtbarkeitsbewusstsein: Das Verständnis der eigenen Fruchtbarkeit kann wichtig sein, um informierte Entscheidungen in Bezug auf Verhütung und Familienplanung zu treffen. Durch die Identifizierung von Fruchtbarkeitsproblemen können Betroffene geeignete Maßnahmen ergreifen, um ihre Fruchtbarkeit zu erhalten oder zu verbessern.

2. Gesundheitsbewusstsein: Eine Spermauntersuchung (Spermiogramm) kann auf zugrunde liegende Gesundheitsprobleme hinweisen, die nicht mit der Fortpflanzung zusammenhängen. Z. B. können Hormonungleichgewichte oder andere Stoffwechselprobleme erkannt werden, die sich auf die Gesundheit auswirken können.

3. Vorsorge: Ein Fruchtbarkeitstest kann auch als Vorsorgeuntersuchung dienen, um mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, bevor sie schwerwiegende Konsequenzen haben. Die Spermienqualität ist ein Gesundheitsbarometer.

Gut zu wissen: „Nicht alle Fruchtbarkeitstests sind zu 100 Prozent genau. Daher bietet ein positives Testergebnis keine Garantie für zukünftige Fruchtbarkeit. Es ist wichtig, alle Testergebnisse mit einem medizinischen Fachpersonal zu besprechen und bei Fragen oder Bedenken eine individuelle Beratung in Anspruch zu nehmen“, so Shariat.   



Kinderwunsch bei schlechter Spermienqualität 

Neue Methoden helfen den Spermien: Es gibt vielerlei Gründe, warum es Spermien nicht schaffen, eine Eizelle zu befruchten.

So kann die Reproduktionsmedizin helfen.

– In-vitro-Fertilisation (IVF): Eizellen werden aus den Eierstöcken entnommen und in einem Labor – im Reagenzglas – mit Spermien des Partners oder eines Spenders befruchtet. Wie von Natur aus vorgesehen, buhlen dabei unzählige Spermien um die Eizellen. Eine oder mehrere befruchtete Eizellen werden in die Gebärmutter zurückgesetzt.

– ICSI: Bei der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion wird ein ausgewähltes, besonders „gutes“ Spermium direkt in eine Eizelle injiziert, um die Befruchtung zu erreichen. Diese Technik wird häufig angewendet, wenn der Mann eine niedrige Spermienzahl oder eine schlechte -qualität hat.

– Kryokonservierung von Eiern und Spermien: Technik, bei der Eizellen und Spermien konserviert und bei Bedarf aufgetaut werden. Nützlich bei Krankheit oder Behandlung wie Chemotherapie.   

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