Seelen-Hygiene

Brauch ich eine Therapie?

19.05.2017

Expertin Katrin Lampe verrät, wie Sie Symptome psychischer Störungsbilder rechtzeitig erkennen, richtig zuordnen und die passende Fachfrau/den passenden Fachmann finden.

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Kennen Sie das auch? Freunde und Familie bieten ihre Hilfe an, doch all die tröstenden Worte scheinen nicht zu nützen – Symptome verschlimmern sich, der Leidensdruck wächst. Wer kann helfen? Der Hausarzt, der Psychiater oder doch eine Psychotherapie? Ab wann und bei welchen Störungsbildern ist eine „Sprechkur“ überhaupt anzuraten? Wir haben Expertin Katrin Lampe zu dem Thema befragt. In gesund & fit verrät Sie uns die vier häufigsten Problembereiche inklusive persönlichen Schnell-Check-Test.

In den USA gehört Seelen-Hygiene zum guten Ton. Auch in unseren Breiten wird der regelmäßige Gang zum Therapeuten immer salonfähiger. Was bringt der regelmäßige Seelen-Strip vor einem Experten?

Katrin Lampe: Therapie sollte nicht nur als eine Behandlung von Leidenszuständen, sondern auch allgemein als Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung gesehen werden. Das Wissen über die eigenen unbewussten Motive, nach denen wir handeln, hilft sich im Leben nicht immer wieder nach alten Mustern zu verhalten – z. B. jedes Mal einen gewalttätigen Partner wählen/immer wieder im Job in Konflikte mit Vorgesetzten geraten etc. Eine gelungene Therapie schafft neue Handlungsmöglichkeiten und generell ein befreites Leben.

Gängige Praxis: Ich suche mir erst Hilfe, wenn es mir schlecht geht. Wem empfehlen Sie therapeutische Betreuung und in welchem Stadium, was Gefühlslagen und Wohlbefinden betrifft?

Lampe: Leider ist es tatsächlich oft so, dass man erst beim Therapeuten landet, nachdem man schon alles andere ausprobiert hat. Grundsätzlich empfehle ich natürlich so früh wie möglich professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, nicht erst, wenn die Symptome so überhandgenommen haben, dass die Lebensqualität bereits massiv beeinträchtigt ist. Auch bei psychischem Leid gilt: Je länger man zuwartet, desto chronischer wird es, desto schwieriger gestaltet sich die Behandlung.

Das „Wann“ wäre geklärt. Bleibt das „Wie“ offen. Was empfehlen Sie bei der Suche nach dem richtigen Therapeuten und wie erkenne ich einen guten Therapeuten?

Lampe: Das Wichtigste bei der Therapeutenwahl ist: Der Patient muss sich wohlfühlen. Darum rate ich dazu, nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Therapeuten Erstgespräche zu führen. Studien der Psychotherapieforschung haben dies belegt – einer der Hauptwirkfaktoren der Therapie ist eine stabile, vertrauensvolle Beziehung zwischen Patient und Therapeut. Abgesehen davon ist auch die Wahl der passenden Methode zu bedenken: Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, systemische Familientherapie etc. Die meisten Therapeuten beschreiben ihre Methode sehr gut auf ihrer Website. Hier sollte sich der Patient wirklich Zeit nehmen, sich ausreichend zu informieren.

Unterschied Psychologe, Psychotherapeut und Psychiater. Wann zu wem? Und wer ist mein erster Ansprechpartner?

Lampe: Allgemein gesprochen ist der Psychologe im klinischen Feld für Testungen und den daraus resultierenden Diagnosen des Patienten zuständig – z. B. Persönlichkeitstests. Der Psychiater ist Mediziner, und als solcher berechtigt, verschreibungspflichtige Medikamente (Anm.: Psychopharmaka) zu verordnen. Der Psychotherapeut gestaltet je nach methodischer Ausrichtung die Therapie. Wünschenswert ist eine Zusammenarbeit aller drei Disziplinen. Oft suchen die Patienten zuerst den Facharzt für Psychiatrie auf, da Medikamente schnelle Erleichterung der Leidenszustände bringen. Für ein nachhaltiges Ergebnis ist eine Therapie meist unerlässlich.

Eine Therapie ist auch immer eine Frage des Geldes. Welche Möglichkeiten gibt es, eine kostenlose Beratung und Betreuung zu bekommen?

Lampe: Es besteht die Möglichkeit „Psychotherapie auf Krankenschein“ finanziert zu bekommen oder bei niedergelassenen Therapeuten, ohne Finanzierungsmodell einen Antrag auf Kostenzuschuss zu stellen. Kostengünstige Therapieplätze bieten auch psychotherapeutische Ambulanzen (Anm.: z. B. SFU Ambulanz) an. Längere Wartezeiten sind allerdings einzuplanen. Manche Therapeuten ermöglichen auch Therapie zu Sozialtarifen.

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Als Psychoanalytiker steht man lange unter Supervision und Eigenanalyse. Was war das Spannendste, das Sie erfahren durften?

Lampe: Die Ausbildung zum Psychoanalytiker erfordert es, sich jahrelang selbst in Therapie zu begeben, um die persönlichen Schwachstellen erkennen und anschließend bearbeiten zu können. Diese sogenannte „Lehranalyse“ empfinde ich als größtes Geschenk, das man sich selbst und seinen Patienten machen kann. Nichts ist schlimmer, als ein Therapeut, der die eigenen Probleme nicht erkennt und sie seinen Patienten andichten will.

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