Schreiben bis zum Schluss:

Esterhazys "Bauchspeicheldrüsentagebuch"

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Über seine letzten Lebensmonate gibt der 2016 mit 66 Jahren gestorbene Autor ohne Selbstmitleid aber mit genauer Selbstbeobachtung Auskunft.

Wie reagiert einer auf die Diagnose "Krebs"? Dafür gibt es in der Literatur viele Beispiele. Dem einen verschlägt es zunächst die Sprache. Der Boden wird ihm unter den Füßen weggezogen. So erging es etwa dem Schweizer Urs Faes, dessen Buch "Halt auf Verlangen" gerade erschienen ist. Peter Esterhazy dagegen, konnte nicht anders als schreibend auf die Krankheit reagieren.

Bewundernswerte Gelassenheit

Über die letzten Lebensmonate gibt er in seinem "Bauchspeicheldrüsentagebuch" Auskunft. Die Aufzeichnungen in dem jetzt bei Hanser Berlin auf Deutsch erschienenen Buch enden ein paar Wochen vor dem Tod. Es ist eine fatale Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Peter Esterhazy scheint das Urteil mit erstaunlicher, bewundernswerter Gelassenheit entgegenzunehmen. Er bricht nicht in Entsetzen und Gejammer aus. Es gibt keine Larmoyanz und kein Selbstmitleid, kein Anklagen. Aber ist er offen und ehrlich zu seinem Publikum?

Für ihn steht fest: Er muss weiter tun, was er Jahrzehnte lang getan hat: schreiben. Nicht um Selbsttherapie zu betreiben, sondern um seine Arbeit zu machen. Er stellt sich seiner Krankheit. Aber er tut es auf seine besondere Weise, indem er der Leserschaft, die es von ihm gewohnt ist, seine geistigen Pirouetten, seine gedankliche Beweglichkeit und seine Fähigkeit, überraschende Assoziationsketten zu produzieren, vorführt. Dies geschieht auf der Basis genauer (Selbst-)Beobachtung, und oft ist etwas Eitelkeit im Spiel. Gegrüßt, erkannt und gelobt zu werden, ist von Bedeutung. Die Sexualität hat ihren Stellenwert in den Aufzeichnungen, sie wird erst mit dem Fortschreiten der Krankheit unwichtiger.

Dies heißt aber nicht, dass er sich gottergeben in sein Schicksal dreinfindet. Zwar hadert er nicht nach der Art: Warum ich, warum nicht ein anderer? Aber die Diagnose ist für ihn kein Anlass, zerknirscht die Bilanz seines Lebens zu ziehen. Er hat ja seine Arbeit zu erledigen. Es gibt genug zu tun. Öffentliche Auftritte stehen wie immer auf dem Programm, Aufsätze werden erwartet, eine Buchveröffentlichung vorbereitet, Signierstunden absolviert und anderes mehr.

Aber es geht nicht darum, der Krankheit auszuweichen, sich vor ihr zu drücken, nein, er beschäftigt sich ausführlich mit ihr, muss immer wieder zur Chemotherapie ins Krankenhaus und macht sich jede Menge Gedanken darüber, was da in ihn hineintropft. Zur Bauchspeicheldrüse entwickelt er ein spezielles Verhältnis, er spricht sie mit verniedlichenden Bezeichnungen an und dämonisiert sie nicht. Der liebe Gott ist auch jemand, der auf Übergröße verzichten muss und auf Augenhöhe in einen alltäglichen Diskurs einbezogen wird. Das Triviale und Erhabene sind oft eng benachbart.

Genussmensch mit Gedankenschärfe

Was kann der Mann an Sinnlichkeit für sich retten? Die Antwort lautet: das Essen. So bleibt einem der dem Leben zugewandte, der Genussmensch Peter Esterhazy erhalten. Die Gedankenschärfe blitzt noch lange auf, aber die Sehnsucht nach dem Schlaf nimmt mehr und mehr zu.

Mit sensiblem Sprachverständnis hat György Buda die Aufzeichnungen ins Deutsche übertragen. Ins Deutsche mit österreichischen Färbungen, muss man sagen. Damit trifft er genau eine Esterhazy'sche Spezialität.

Zeitgleich mit dem Tagebuch erscheint "Die Flucht der Jahre", ein rund 150seitiges Interview von Marianna B. Birnbaum, das sie mit Peter Esterhazy vor dem Ausbruch der Krankheit geführt hatte. Die Fragen gaben dem Autor reichlich Gelegenheit zu brillieren. Man hört gerne seinen kritischen Anmerkungen, seinen Selbstbespiegelungen und seinen Zweifeln zu. Welche Meisterwerke hätte er gern selbst geschrieben? So wird er gefragt. Was antwortet der bescheidene Peter Esterhazy? Alle.

Peter Esterhazy: "Bauchspeicheldrüsentagebuch". Aus dem Ungarischen von György Buda, Hanser, 239 Seiten, 20,60 Euro

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