Wenn Erschöpfung chronisch wird

Fakten über das Chronic Fatigue Syndrome

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Wenn lähmende ­Abgeschlagenheit zum Dauerzustand wird und sich der Alltag kaum bewältigen lässt, könnte das chronische Erschöpfungssyndrom dahinterstecken. Wie es sich erkennen lässt und wo Betroffene Hilfe finden. 

Der Leidensweg von Barbara P. begann 2012 mit einer schweren Entzündung der Eierstöcke, die sich lange Zeit nicht bessern wollte. Die Krankheit war schmerzhaft und nach und nach gingen der Linzerin die Kräfte aus. Trotz Schonung klang die starke Erschöpfung nicht ab. Jede körperliche Belastung zog noch mehr Schwäche nach sich. Plötzlich mussten bereits kleine Tätigkeiten im Haushalt nach wenigen Minuten wegen Atemnot und Schmerzen (z. B. der Muskeln und Gelenke) beendet werden. „Mittlerweile stehen mir an schlechten Tagen nur noch fünf Prozent meines einstigen Energielevels zur Verfügung“, erzählt die Qualitätsmanagerin im Gesundheitswesen. „Es fühlt sich an, als wäre eine starke Grippe mein ständiger Begleiter.“ Der Zustand verschlechterte sich schleichend. 2016, am Zenit ihrer Karriere, war sie schließlich nicht mehr in der Lage, ihrem Beruf nachzugehen. Der erste Verdacht der Ärzte: Burn-out- und Erschöpfungsdepression. Eine Fehldiagnose. Denn die achtwöchige stationäre Behandlung schwächte nur noch mehr. Dank Eigenrecherche und der Hilfe der Ö. Gesellschaft für ME/CFS konnte 2017 von einer spezialisierten Neurologin schließlich das chronische Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome/CFS) – auch myalgische Enzephalomyelitis (ME) genannt – diagnostiziert werden. Die Kurzbezeichnung lautet: ME/CFS.
 
Dabei handelt es sich nicht um ein psychisches Beschwerdebild, sondern um eine schwere, chronische, körperliche Multi­systemerkrankung. Das bedeutet, dass mehrere Körpersysteme gleichzeitig beeinträchtigt werden: das Nerven-, das Herz-Kreislauf-, das Immunsystem und der Stoffwechsel. Dadurch geht die Erkrankung mit einer Vielzahl an Beschwerden und damit massiven Auswirkungen auf die Lebensqualität einher. 60 bis 80 Prozent der Betroffenen sind arbeitsunfähig. Bei schweren Ausprägungen besteht sogar Pflegebedarf.    

Ursachen & Diagnosestellung
Zwei Drittel aller Betroffenen sind Frauen. Die Ursache für die Entstehung konnte noch nicht erforscht werden. „Studien“, so Dr. Michael Stingl, FA für Neurologie, „weisen auf eine mögliche Autoimmunerkrankung und eine Störung des Energiestoffwechsels hin. Auch virale Infektionen, wie u. a. das Epstein-Barr-Virus (Anm.: Pfeiffersches Drüsenfieber), werden als Auslöser diskutiert.“ So schwierig wie die Ursachenforschung gestaltet sich auch die Diagnose: Von geschätzt 25.000 betroffenen Österreichern sind etwa 90 Prozent nicht diagnostiziert. „Im Blut“, so der Experte, „lassen sich nämlich keine eindeutigen Marker finden. Es tauchen lediglich Hinweise (Anm.: z. B. hormonelle Anomalien) auf.“ Da die Erkrankung hierzulande weitgehend unbekannt ist, werden häufig Fehldiagnosen (v. a. Depression, Burn-out) gestellt. Diese ziehen falsche Behandlungen nach sich, die den Zustand der Betroffenen häufig noch verschlechtern. Zudem geht wertvolle Zeit verloren. Denn je früher ME/CFS entdeckt wird und je jünger der Patient bei der Diagnosestellung ist, desto besser stehen die Chancen auf Verbesserung. Deshalb rät der Mediziner, sich bei bestehendem Verdacht an einen spezialisierten Neurologen zu wenden.   
 
Behandlung & Unterstützung
Die Erkrankung kann bis dato nicht geheilt werden. Es gibt keine zugelassenen Medikamente bzw. Standardtherapien. Deshalb konzentriert sich die Behandlung auf eine Linderung der Symptome (z. B. Schlaf- oder Schmerzmittel, Nahrungsergänzungsmittel etc.) und einen schonenden Umgang mit Energiereserven (Pacing). „So wichtig wie die Linderung der ständigen Beschwerden“, so Dr. Stingl, „ist allerdings auch seelischer Rückhalt und Hilfe in organisatorischen Belangen. Denn von Behörden und im Berufsleben wird ME/CFS als Erkrankung nicht akzeptiert.“ Betroffene, wie Barbara, stoßen oft auf massives Unverständnis. Das erhöht den Leidensdruck zusätzlich. Unterstützung und Infos bietet die CFS-Hilfe. 
 
ME/CFS – die Fakten
Definition:
ME/CFS ist eine Abkürzung für myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome – zu Deutsch: chronisches Erschöpfungssyndrom. Dabei handelt es sich um ­eine schwere, chronische, körperliche Erkrankung, die gleich mehrere Körpersysteme (Immun–, Nervensystem etc.) in Mitleidenschaft zieht. Die Multisystemerkrankung führt daher zu einer Vielzahl an Beschwerden und damit zu ­einem schweren Erschöpfungszustand, der oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt.
 
Symptome:
– Meist schwere, mindestens sechs Monate anhaltende Erschöpfungszustände und Schwäche
– Niedrige Erschöpfungsschwelle
– Sofortige oder zeitverzögerte Zustandsverschlechterung nach Anstrengung und Belastung, die mehrere Tage/Wochen anhalten kann
–  Schlafstörungen
– Kognitive und neurologische ­Beeinträchtigungen, verstärkt durch Anstrengung 
– Störung des Kreislaufsystems  
– Dauerhaft grippeähnliche Symptome, Muskel- und Gelenkschmerzen, Immunschwäche, Infektionen, gastrointestinale und urogenitale Beschwerden, Unverträglichkeiten
 
Ursachen:
Nach wie vor unbekannt. Nachgewiesen sind Fehlregulationen u. a. des Nervensystems, des Immunsystems und des Hormonsystems. Auslöser könnten Viren, u. a. das Epstein-Barr-Virus, sein.  
 
Diagnose:
Durch Ausschlussdiagnostik anderer Erkrankungen. Eine Blutuntersuchung kann Hinweise liefern. Der Arzt stellt schließlich den Befund anhand von Diagnosekriterien (z. B. Beeinträchtigung, die mehr als 6 Monate anhält).
 
Behandlung:
Derzeit gibt es noch keine zugelassenen Medikamente bzw. Standardtherapien.

Unterstützung bei ME/CFS

Die Österr. Ges. für ME/CFS berät, informiert, hilft und vermittelt. Kontakt und Infos zur Spendenaktion für Betroffene unter cfs-hilfe.at. Extremsportler Michael Strasser sammelt zudem mit seinem Projekt „Ice2Ice“ Forschungsgelder für die Open Medicine Foundation.

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